10.000 km Singletrail-Paradies in Peru

Geoff Gulevich

 · 19.12.2018

10.000 km Singletrail-Paradies in PeruFoto: Margus Riga
10.000 km Singletrail-Paradies in Peru
Die Inkas überzogen ihr Land mit Trails. 10000 Kilometer insgesamt. Das macht PERU vielleicht zum größten Single­trail-Paradies der Welt. Geoff Gulevich war für uns dort.
  Irgendwo im Au­san­gate-Gebirge: Berg­riesen, Gletscherseen, keine Menschenseele weit und breit. Gully klappt sein Enduro zum Shoulder-Burner zur Seite. Nur nicht zu viel riskieren, denn schnelle Hilfe kommt hier nicht. Nicht mal langsame!Foto: Margus Riga Irgendwo im Au­san­gate-Gebirge: Berg­riesen, Gletscherseen, keine Menschenseele weit und breit. Gully klappt sein Enduro zum Shoulder-Burner zur Seite. Nur nicht zu viel riskieren, denn schnelle Hilfe kommt hier nicht. Nicht mal langsame!

Wir waren erschöpft, hatten nur noch wenig Wasser und absolut keine Ahnung, wo zum Teufel wir eigentlich waren! Doch wir hatten auch Glück. Denn nach dreitägiger Odyssee durch die Berge standen wir endlich am höchsten Punkt und hatten einen hervorragenden Blick auf das ganze Tal – wir sahen sogar die Stelle, wo wir abgeholt werden sollten. Also kraxelten wir weiter, pedalierten und schoben für weitere zwei Stunden, bis wir den finalen Gipfel erreichten. Jetzt war das Wasser tatsächlich ganz aus und die Moral am Boden, doch uns durchströmte plötzlich auch ein teuflischer Ehrgeiz: Wer würde wohl als erster unten ankommen? Denn dort unten gab es kaltes Bier – und was gibt es Schöneres, als nach erlebten Abenteuern prickelnd-kaltes Bier in eine ausgedörrte Kehle gurgeln zu lassen?

Das Bier-Race: Tod oder Erfrischung?

Wir sprangen auf unsere Bikes – und sausten über den letzten Abhang des Trips. Links lauerte der sichere Tod (Klippe), geradeaus schien es zu einfach, also hielten wir uns rechts. Niemand konnte sehen, was kommt, doch das schien uns Gestörten komplett egal. Wir hatten kaltes Bier im Sinn, Testosteron im Blut und wenig Hirn im Kopf – wir fuhren also schnell, wo man besser nicht schnell fährt. Viel zu schnell. Es war totaler Irrsinn, doch wir alle machten mit, als hätten wir den Verstand verloren. Die Reifen sprangen, die Federgabeln bockten, und wir krallten uns an den Lenker, um die Fahrt irgendwie zu kontrollieren. Erst als KC über die Felsplatte driftete, schließlich den Grip ganz verlor und auf den Abgrund zuschlitterte, war’s plötzlich gar nicht mehr lustig! Mir gelang es irgendwie, auf dem glatten Fels abzubremsen, doch er schlitterte einfach weiter, während ich nur voller Schrecken zuschauen konnte. Ich war mir sicher, KC würde über die Klippe fliegen und 50 Meter abstürzen, doch irgendwer oder irgendwas muss wohl seine schützende Hand über ihn gehalten haben, denn mit einem Ruck stoppte er in einem Riss im Fels, nur wenige Meter von der Klippenkante entfernt. KC schien selbst überrascht und schaute zu mir hoch. Ich wette, ich muss ausgesehen haben wie ein Geist mit meinen aufgerissenen Augen und blutleerem Gesicht. Doch er lachte nur. Ich nicht. Denn ich wusste, wie knapp er davongekommen war. Wir setzten unseren Downhill fort, doch jetzt deutlich vorsichtiger. Unten angekommen zitterten meine Hände, und es stank nach verschmorten Bremsbelägen. Die Gesichter mit Spucke und Dreck verschmiert, blutige Oberarme, wo sich Dornen in schneller Fahrt verkrallt hatten, Schweiß- und Schlammschlieren am ganzen Körper – wir sahen aus, als wären wir gerade vom Schlachtfeld gewankt. Jetzt war es wirklich Zeit für ein Bier – nein, nicht nur eins!

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Endlich Neuland: unterwegs in Peru

Wir waren erst seit fünf Tagen in Peru. Mitch Chubey, KC Deane und ich wollten eine Route im Ausangate-Gebirge erkunden, die anscheinend noch nie mit dem Bike befahren worden war. Zu Hause auf Google Maps sah die Tour machbar aus, und mit der Hilfe von Bill und Nicole von Haku Expeditions ging alles ziemlich einfach von der Hand. Ein kleines Support-Team von vier Packpferden sollte unser Campingzeug transportieren, während wir durch die Gegend kurvten, um die besten Spots zu finden.

Wir gurkten bereits auf 5000 Metern Höhe rum, fühlten uns aber wie Ameisen, denn um uns ragten die Bergriesen nur so in die Höhe, manche knapp 6500 Meter hoch! Überall sahen wir Gletscher, die mit eisigen Zungen in die Täler leckten. Wir schnappten nach Luft – ohne Grund. So sehr wir auch schnappten und pumpten, es war nie genug, und wir fühlten uns permanent schlapp; wir schleppten uns voran. So was hatte ich bisher noch nie erlebt. Auch die Sonne kannte kein Erbarmen, sie brannte vom Himmel, versengte unsere Haut, so sehr wir uns auch mit Sonnencreme balsamierten.

Hose unten, Sterne oben!

Trails gab es nur spärlich. Die wenigen stammten wohl von den paar Einheimischen, die hier oben ihre Alpakas umhertrieben, über einen Tagesmarsch von ihren Dorfhütten entfernt. Ich wollte gar nicht dran denken, wie lange es im Notfall dauern würde, hier ärztliche Hilfe zu kriegen. Das beschäftigte mich und ließ mich weit vorsichtiger fahren als sonst. Denn seit Tagen rollten wir auf schmalen Pfaden, steile Felsabbrüche als ständige Begleiter an unserer Seite. Doch so sehr die Abgeschiedenheit uns einschüchterte, umso mehr begeisterte sie uns auch. Endlich weit weg. Von allem! Wir zelteten neben einsamen Bergseen, wo Menschen sicher nur alle Jahre mal vorbeikommen (wenn überhaupt!). Nachts sank die Temperatur von 25 auf minus 5 Grad. Zu dritt drängten wir uns im Zelt zusammen, um irgendwie warmzubleiben, während der Nachtwind in den Nylonplanen raschelte. Ich musste schlechtes Wasser erwischt haben, denn mein Magen rebellierte und zwang mich aus dem Zelt. Und da hockte ich dann – in frostiger Nacht und starrte in den Sternenhimmel über mir. Ich schwöre, ich habe noch nie im meinen Leben so viele Sterne gesehen: Mars, Orion, die Milchstraße ... nenn’ mir irgendein Himmelsgestirn – ich habe es in dieser Nacht gesehen. Es blitzte und funkelte nur so über mir, während mein Bauch krampfte, stöhnte und die unglaublichsten Geräusche von sich gab – ein eigenartiger Moment der Schönheit.

Wir schafften es mit ein paar Close-Calls aus Ausangate raus und zurück nach Cusco, denn den Rest des Trips wollten wir in Ollantaytambo verbringen. Die Stadt liegt nahe dem weltbekannten Berg Machu Picchu mit seinen haarsträubenden Terrassen-Anlagen – schon im

15. Jahrhundert haben die Inkas sie auf über 2000 Metern angelegt mit einer ausgefuchsten automatischen Wasserversorgung – noch heute gibt diese Stadt Rätsel auf, wie die Inkas der Physik trotzten und diese Architektur hinbekamen, inklusive 30000 Kilometer (!) Straßennetz im ganzen Land. Hier trafen wir Ali Goulet, den Organisator des Inka Avalanche. Seine Familie erwartete ihn schon daheim, doch er konnte noch eine Woche Biken in Peru rausschlagen. Daher wollte er alles, nur keine Zeit verlieren!

Irgendwo im Ausangate-Gebirge: Bergriesen, Gletscherseen, keine Menschenseele weit und breit. Gully klappt sein Enduro zum Shoulder-Burner zur Seite. Nur nicht zu viel riskieren, denn schnelle Hilfe kommt hier nicht. Nicht mal langsame!
Foto: Margus Riga

Unterwegs mit Verrückten

Ali besorgte die Shuttles. Sie sollten uns zu so vielen Abfahrten wie möglich verhelfen. Allerdings unter einer Prämisse: Alles muss schnell gehen! Sehr schnell! Reifenpanne? "Sorry, wir sehen uns beim nächsten Run!" – Hungrig? "Bis später dann!" – Müde? "Bis morgen, adios amigo!" Kurzum: Wer nicht fix und auf Draht war, konnte einpacken! Das erklärte Ziel: Höhenmeter vernichten auf Teufel komm raus. Mir kam es vor, als ob ich auf jedem Berggipfel der Region stand – und schnappte nach Luft. Kurz drauf lag ich auf dem Boden eines jeden Tals – und schnappte nach mehr Luft.

Manchmal begegneten uns auf dem Sturmritt ins Tal Einheimische in ihrer traditionellen Tracht; sie wanderten die Trails hoch, die wir runterfuhren. Sie schauten uns aus dunklen Augen interessiert an und waren äußert freundlich zu diesem Haufen schlammverspritzter kanadischer Flachländer, die sich kurzatmig an ihren Bikes festhielten und nur mit lausigem Spanisch und High-Fives verständigen konnten.

Trails? – Trails!

Die Trails waren geil. Verdammt geil. Und endlos. Wir fetzten durch hohes Gebüsch, zerklüftete Felsen, entlang Klippen und surften monströse Schotterhalden runter. Wir waren so im Rausch und Flow, dass das Hirn bei der Sturmfahrt gar nicht begreifen konnte, wie haarig und gefährlich das alles war, was sich da in Sekundenbruchteilen abspielte. Doch im nächsten Augenblick war’s eh schon wieder vorbei. Zeit für Gedanken gab es nicht. Wir waren alle so konzentriert, am Hinterrad des Fahrers vor uns zu kleben – nur das zählte. Selbst von der atemberaubenden Landschaft kriegten wir nix mit, außer unscharfes Grün und Braun, das als Farbbrei durch die Augenwinkel zischte. Erst am Talboden bekam die Welt um uns wieder Konturen, doch dann saßen wir meist neben unseren Bikes im Dreck, japsten nach Luft und quatschten darüber, wie "badass" die letzte Sektion doch war. Dann gingen die Meinungen plötzlich auseinander: Wir Kanadier waren scharf drauf, Neues zu entdecken, doch die Avalanche-Jungs wollten ihre bekannten Trails shredden. Kurzum: Es war besser, sich zu trennen – und jeder konnte sein eigenes Ding machen. Ich bin froh, dass wir so entschieden haben, denn wir brauchten alle Zeit, um unsere Hitzköpfe abzukühlen. Auf Trips, wo man eng und lange aufeinanderhockt, passiert so was früher oder später. Da kommt man mit kühlem Kopf weiter. Wenn du das nicht wusstest, wirst du es eines Tages rausfinden!

  Hier sind wir im Headquater von Haku Expeditions. Ohne die Hilfe von Bill und Nicole hätten wir die Reise nicht gewuppt bekommen.Foto: Margus Riga Hier sind wir im Headquater von Haku Expeditions. Ohne die Hilfe von Bill und Nicole hätten wir die Reise nicht gewuppt bekommen.

Am letzten Tag nutzten wir den Shuttle-Van, um etwas Gutes zu tun. Wir brachten Verpflegung zu einer abgelegenen Dorfschule. Ein paar vom Leben begünstigte Typen wollten Menschen etwas schenken, die das Leben nicht so bevorteilt hatte. Eine schnelle Aktion: rein in die Schule, Zeug abgeben und wieder raus. Vergiss es! Die Kids drehten durch vor Neugier. Sie rannten in ihren Schuluniformen aus dem Haus, viele davon barfuß, und umringten unsere Bikes. Also durften sie alle mal fahren. Meist reichten die Füße nicht zu den Pedalen – und wir schoben sie in der Gegend herum bis unsere Rücken ächzten. Noch nicht genug? Nein! Sie forderten uns zum Fußballspiel heraus. Natürlich spielten uns die kleinen Scheißer an die Wand, barfuß mit viel Gejohle und Gelache.

Die Downhill-Keilerei

Schon mal vom Inca Avalanche Race gehört? Nein? Besser so! 300 peruanische Biker standen auf dem Berggipfel, bereit, beim Startschuss ins Tal zu rasen über eine schlammige Graspiste. Unter ihnen: wir, ein paar Amis und ein Franzose. Das funktioniert so: Der Moderator hört plötzlich auf zu quatschen, alle Gespräche verstummen, die Fäuste ballen sich um die Lenkergriffe, die Augen verengen sich zu Schlitzen und – peng! Während die ersten Fahrer das Glück der freien Bahn haben, verknotet sich der Rest zu einer großen Keilerei. Jeder kämpft darum, sein Bike irgendwie auf Kurs zu kriegen. Auf den ersten zwei Kilometern musste ich also extrem improvisieren, denn überall purzelten Fahrer mit und ohne Bikes durchs Gelände, die Reifen rutschten, die Füße rutschten, alles rutschte, schlitterte, schleuderte, schlingerte. Ich sah Biker, die über andere Bikes fuhren und Biker, die über andere Biker fuhren – es war kompletter Irrsinn, doch irgendwie auch verdammt komisch. Ich kicherte hysterisch unter meinem Helm und jagte die Strecke hinunter. Die Graspiste mündete in einen engen Trail, der sich über den Rest der insgesamt 15 Kilometer ins Ziel schlängelte. Ich kam an Bikern vorbei, die kopfüber im Gebüsch hingen und an Bikern, die auf allen Vieren den Hang heraufkrabbelten, weil sie aus der Kurve geflogen waren. Super! Ich liebe solche Treibjagden, wenn ich dem Vordermann so richtig Dampf machen kann, auffahre, dass sich die Reifen berühren, und er den Druck nicht mehr aushält und zur Seite schert. Geil!

Im Ziel erwartete uns das halbe Dorf Ollantaytambo, bejubelte die Zielpiloten, verteilte Bier und High-Fives. Man hatte wirklich das Gefühl, dass sich die Locals über jeden Kamikaze-Biker freuten, der den Weg in ihr Dorf gefunden hatte. Das war ein schönes Ende für einen schönen Trip. Wir haben Freundschaften geschlossen, eine unbekannte Kultur erlebt und nur einer von uns ist krank geworden und musste in frostiger Nacht ständig mit heruntergelassener Hose im Gebüsch hocken.

Peru rules – in allen Aspekten. Von den irre hohen, irre langen Abfahrten, der Natur, bis hin zum rohen Flow der Trails. Wenn ich nur daran denke, wundert es mich, wie wir das alle unversehrt überstanden haben. Ich muss da jedenfalls wieder hin, denn ich will das Ganze noch einmal erleben, nur um sicherzugehen, dass es nicht nur ein fantastischer Traum war.

  Wer hat hier mehr Spaß? Beim Besuch einer Dorfschule verteilen wir Verpflegung. Begehrt: die Gratis-Runde auf dem Enduro-Bike. Wir müssen schieben, denn die Beine sind noch zu kurz.Foto: Margus Riga Wer hat hier mehr Spaß? Beim Besuch einer Dorfschule verteilen wir Verpflegung. Begehrt: die Gratis-Runde auf dem Enduro-Bike. Wir müssen schieben, denn die Beine sind noch zu kurz.

PERU INFO

Hohe Berge, dünne Luft, lange Abfahrten, verrückte Landschaften – wer in Peru auf Freeride-Mission gehen will, muss Abenteuerlust mitbringen. Das Gelände ist anspruchsvoll; ein Enduro-Bike das ideale Rad. Es gibt mehrere Veranstalter vor Ort, die Abenteuer à la carte anbieten, aber auch viele fertige Abenteuer-Menüs im Programm haben. Ein vergleichbarer Trip wie unserer (zehn Tage über Inca-Trails) kostet bei Haku Expeditions aus Cusco z. B. 2200 US-Dollar.

Info im Web: hakuexpeditions.com

bike/M3923415Foto: Margus Riga  Diesen Artikel finden Sie in FREERIDE 1/2018 - das Heft können Sie hier bestellen > FREERIDE IOS App (iPad) FREERIDE Android App Foto: Daniel Roos Diesen Artikel finden Sie in FREERIDE 1/2018 - das Heft können Sie hier bestellen > FREERIDE IOS App (iPad) FREERIDE Android App 

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