4 Hardtails im Systemvergleich

Florian Haymann

 · 01.04.2015

4 Hardtails im SystemvergleichFoto: Hoshi Yoshida
4 Hardtails im Systemvergleich
Der Traum vom perfekten Bike: Einige Hardtails sollen alles können, vom Bikepark bis zum Marathon. Mit Unterstütung durch Marcus Klausmann gehen wir dem Mythos vom Alleskönner-Bike auf den Grund.
  Racer Klausmann hat Wettkampf im Blut. Er will immer Erster sein – selbst beim Fotoshooting zum Test der Freeride-Hardtails. Tester Haymann bleibt da trotz "Braveheart"-Mimik chancenlos.Foto: Hoshi Yoshida Racer Klausmann hat Wettkampf im Blut. Er will immer Erster sein – selbst beim Fotoshooting zum Test der Freeride-Hardtails. Tester Haymann bleibt da trotz "Braveheart"-Mimik chancenlos.

Der Traum vom Alleskönner-Bike wurde geboren, kurz nachdem irgendwer in den frühen Neunzigern das Fully erfunden hatte. Vor diesem Tag war das Hardtail das perfekte Mountainbike, denn es gab nichts anderes. Damals gewannen begnadete Fahrer wie John Tomac mit ein und demselben Bike Cross-Country- und Downhillrennen. Auch heute wabert diese archaische Sehnsucht nach dem Einfachen durch Biker-Hirne. Es gibt das Bike für alles, raunt es aus Internet-Foren und Verkaufskatalogen. Dieses Wunderbike soll die Form des Ur-Mountainbikes haben: Dia­mantrahmen, ungefedert! Angesichts des enormen Bewegungsrepertoires moderner Mountainbiker ist das ein vollmundiges Versprechen: auf Tour, im Bikepark, vielleicht sogar auf dem Dirtspot – und als Alltagsrad mit 10 Kilo Zuladung soll sich der Alleskönner wohlfühlen.

Diese Verheißung wird geschürt durch Titanen wie Danny MacAskill, die auf einem ungefederten Kleinrad Backflips über alles drehen, was auf Schrottplätzen herumsteht und aus 5 Metern ins Flat droppen, ohne dass die Felge ächzt. Oder durch CC-Heroen wie Nino Schurter, die auf kaum gefederten Riesenrädern mit gehissten Sätteln über zähnefletschende Steingärten tänzeln. Unter Verweis auf solche Ausnahmekünstler wollen uns einige Radhersteller glauben machen, dass ihr Hardtail das einzig wahre sei. Das edle englische Cotic "BFe" soll zum Beispiel "von Enduro bis hin zu Bikepark-Einsätzen und Bike-Bergsteigen; 4X und Dirtjump" das optimale Gefährt sein. Da kann das Commençal locker mithalten – zumindest laut Prospekt: "Enduro, Big Mountain, Small Hills, Cross Country, Trial, City, Pumptrack” ist auf der Website als Einsatzbereich zu lesen.

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  Vorteil Hardtail: kein Wippen und direkter Vortrieb bergauf.Foto: Hoshi Yoshida Vorteil Hardtail: kein Wippen und direkter Vortrieb bergauf.

Wie zum Teufel soll das alles funktio­nieren? Sind diese Hardtail-Freaks noch nie Fully gefahren? Im Gegenteil. Auch Firmen wie Nicolai, die zuallererst Fullys bauten, schwören aufs Hardtail, mit dem man laut Werbetext "weit ins Fullyrevier vorstoßen" könne. Um Werbeversprechen und Wirklichkeit voneinander zu trennen, haben wir einen der schnellsten Fully-Fahrer Deutschlands engagiert: Marcus Klausmann. Er ist großkalibrige Zweiräder gewöhnt, beherrscht aber auch filigrane Querfeldein-Räder und ist nebenbei ein hervorragender Analytiker. Die vier Bikes, die wir auf der Freiburger "Borderline" mit ihm unter die Lupe nahmen, sind kaum miteinander zu vergleichen. Sie repräsentieren jeweils ein eigenes Hardtail-Konzept, vom konventio­nellen 26-Zoll-Stahlrahmen über das 29-zöllige Kona bis hin zum experimentellen 27,5-Zoll Nicolai mit Zahnriemengetriebe. Einen direkten Vergleich verbietet auch die enorme Preisspanne von 1400 bis 6200 Euro.

Der Test ist also als Systemvergleich gedacht. Es geht um die Frage, welches Konzept dem Alles-für-Eins-Bike am nächsten kommt. Können wir unseren Fully-Fuhrpark auflösen und unsere Freeride-Bedürfnisse ohne Hinterradfederung stillen? Unser Eindruck ist leider ein anderer. Zwar hatten die Tester – allen voran Marcus – mit den Hardtails Spaß auf den Trails. Allerdings würden sie keines der Bikes gegen ihr Fully tauschen wollen. Auch wenn die durchwegs hochwertigen Gabeln viele Schläge abpuffern, massieren doch immer wieder massive Stöße die Fußgelenke. So bleibt wenig Muße, sich den schönen Dingen des Trails zu widmen, und man verschenkt auch Sprung- und Spielmöglichkeiten. Das Blöde dabei: je schluckfreudiger die Gabel, desto heftiger die Dysbalance. Auch Einsteigern raten wir nach dieser Erfahrung in jedem Fall zum Fully. Die Theorie, wonach man mit einem Hardtail die Fahrtechnik "von der Pike auf" lernen würde, widerlegt Marcus Klausmann mit einem schönen Vergleich: "Sollten Fahrschüler in einem alten Käfer das Kuppeln lernen, nur weil es damit schwerer geht?"

Commencal Meta HT SX 2015
Foto: Hoshi Yoshida


FAZIT: Nach diesem Test können wir uns einen Typ Radfahrer vorstellen, für den ein leichtes, quirliges Hardtail wie das Cotic oder das Commençal das ideale Alleskönnerbike ist: Er fährt mit seinem Bike zur Arbeit, kompensiert auf Touren Rüttelpassagen durch geschmeidigen Fahrstil und baut gerne Dirtjumps in seine Hausrunde ein. Auch Bikeparks steuert er manchmal an, fährt dort aber nur auf den Fourcross-, Flow- und Northshore-Trails. Wir beneiden jeden, der sich sein Leben auf diese Weise mit einem Bike für alles vereinfachen kann. Für Enduristen, Freerider und Bikeparkfans ist der Performance-Verlust durch mangelnde Heckfederung aber zu groß. Das Gerappel am Heck nervt einfach – bergauf wie bergab.


Diese Freeride-Hardtails waren im Test

• Commencal Meta HT SX
• Cotic BFE
• Nicolai Argon AM Pinion
• Kona Honzo

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