SquamishSteffi Marth im Trail-Paradies

Steffi Marth

 · 02.05.2019

Squamish: Steffi Marth im Trail-ParadiesFoto: Nathan Hughes
Squamish: Steffi Marth im Trail-Paradies
Im Winter in die Sonne zu flüchten – aber zum Biken nach Kanada? Profi-Bikerin Steffi Marth startete einen Selbstversuch und erzählt uns, ob ihre seltsame Rechnung aufgegangen ist: ein Winter in Squamish.
  Alle reden immer nur von Whistler, doch das eigentliche Trail-Paradies heißt Squamish. Da ist sich Steffi Marth sicher. Durch den nahen Pazifik ist das Klima selbst im Winter milde.Foto: Nathan Hughes Alle reden immer nur von Whistler, doch das eigentliche Trail-Paradies heißt Squamish. Da ist sich Steffi Marth sicher. Durch den nahen Pazifik ist das Klima selbst im Winter milde.

Ich liebe Biken – und ich liebe Skifahren. Bisher hatte Skifahren im Winter meist den Kürzeren gezogen, denn meine Sehnsucht nach Sonne und Wärme überwog. Doch vielleicht ließe sich ja beides kombinieren? Die Werbung einer Fluggesellschaft bracht mich auf Kanada. Bei meinen Recherchen stieß ich auf Squamish in British Columbia. Das Städtchen ist gerade mal 40 Minuten vom Wintersport-Paradies Whistler entfernt, doch das Klima dort ist ganz anders, denn Squamish liegt am Ende des Howe-Sund, eines Fjords, der den Pazifik weit ins Landesinnere hineinreichen lässt. Das Meer wirkt hier wie eine riesige Zentralheizung und mildert das Klima.

Wie die Auswanderer kommen mein Freund Nathan und ich in Squamish an. Unseren Berg an Sperrgepäck haben wir aus dem Shuttle-Bus gehievt und auf einen leergefegten Parkplatz direkt neben dem Sea-to-Sky-Highway aufgetürmt. Diese Fernstraße ist unter Mountain­bikern berühmt, denn im Sommer pilgern hier die Bikeparks-Fans aus der ganzen Welt von Vancouver in ihr Mekka Whistler. Unser Ziel Squamish befindet sich quasi an der Pinkelpause zwischen Flughafen und dem Bikepark der Super­lative. Wir schauen dem wegfahrenden Bus etwas wehleidig hinterher, denn an Whistler haben auch wir beide unvergessliche Erinnerungen. Jetzt also Squamish. Mal sehen, was die nächsten fünf Wochen bringen. Ich hoffe auf viele gute Tage im Schnee und auf den Trails – und ich wünsche mir, viele coole Leute kennen zu lernen. Denn mich hat die Erfahrung gelehrt: Ob man Spaß in der Fremde hat, ist eng damit verbunden, wen man trifft.

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  Geht auch ohne: Von Squamish Downton erreicht man die meisten Trails mit dem Bike in 20 Minuten. Die autoverliebten Amis fahren dennoch gerne das erste Stück im Pickup-Truck.Foto: Nathan Hughes Geht auch ohne: Von Squamish Downton erreicht man die meisten Trails mit dem Bike in 20 Minuten. Die autoverliebten Amis fahren dennoch gerne das erste Stück im Pickup-Truck.

Keine zwei Minuten später hupt uns schon ein Pick-up-Truck an. Es ist Nathans Fotografen-Kollege Fraser Britton, der in Squamish wohnt. Das wusste weder Nathan, noch wusste Fraser, dass wir kommen. Großes Hallo! Im Laufe der nächsten Tage stellt sich heraus, dass in unserer Nachbarschaft so einige VIPs der Mountainbike-Szene ihr Lager aufgeschlagen haben. Miranda Miller, Brandon Semenuk und Darcy Turenne wohnen in Squamish, Remy Metallier, Thomas Vanderham, Brett Tippie und Micayla Gatto in der näheren Umgebung. So falsch können wir mit unserer Wahl also nicht liegen, irgendwas muss die Gegend haben – und ich bin schon darauf gespannt, was es genau ist.

Ich würde lügen, behauptete ich, der Winter in Squamish wäre besonders mild. Mild wie man es von Italien kennt. Nein, an einem durchschnittlichen Wintertag regnet es in Squamish und schneit es in Whistler. Das ist der einzige Unterschied. Für die hartgesottenen Kanadier mag sich das nach italienischer Riviera anfühlen, für mich nicht. Das war die Entäuschung Nummer 1. Enttäuschung Nr. 2: Wir machen den Fehler und fahren zum Skifahren am Wochenende nach Whistler. Da gleicht der olympische Ski-Ort einem Irrenhaus. Wir stehen uns in ewigen Liftschlangen die Füße platt, zahlen horrende 120 Euro für die Tageskarte und finden nix vom weltberühmten Champagner-Powder. Unser Entschluss: dann doch lieber biken.

Alle reden immer nur von Whistler, doch das eigentliche Trail-Paradies heißt Squamish. Da ist sich Steffi Marth sicher. Durch den nahen Pazifik ist das Klima selbst im Winter milde.
Foto: Nathan Hughes

Zugegeben, die Bedingungen sind alles andere als kuschelig, doch hat dich der Traumwald mit seinen moosbehangenen Bäumen und vielen mysteriösen Geräuschen einmal geschluckt, willst du da so schnell nicht wieder raus. Überall finden wir Trails. Es ist ein spaßiges Labyrinth aus Pfaden, die nur für Mountainbikes angelegt sind. Das ist ein Riesenunterschied zu den Wanderwegen, auf denen wir in Europa biken. Einziger Nachteil: Es gibt keine Lifte. In Squamish müssen wir überall selbst hoch pedalieren, schieben oder notfalls buckeln, denn viele Wege sind steil und mit rutschigen Wurzeln übersät. Doch das ist ein Preis, den wir gerne zahlen. Denn sonst gibt es nix zu meckern. Die Trails sehen aus, als hätten kurz zuvor Trailwichtel mit Hacke und Spaten alles in Top-Zustand gebracht. Viele moorige Gebiete sind mit schmalen Holzbrettern überspannt, was uns zu Beginn echt zu schaffen gemacht hat. Eine falsche Bewegung und es helfen auch keine wasserfesten Sachen mehr. Dass es meist nass ist, oft leicht regnet und wir die Sonne selten sehen, stört komischerweise kaum.

So unterschiedlich die Trails sind, so kreativ und lustig sind auch ihre Namen und die dazugehörigen Beschilderungen. Zu unseren Lieblingstrails wurden: Cakewalk, Somewhere over There, Tinder oder Your Mom und Fred. In den fünf Wochen sind wir allerdings nur wenige Trails zweimal gefahren. Denn es gibt einfach zu viele.

Und dann sind da noch all die anderen Dinge, die man in Squamish gemacht haben muss – wir natürlich auch. Dazu gehört auf alle Fälle eine Wanderung auf den gigantischen Felsen, der über die Kleinstadt wacht: der Chief, ein 700 Meter hoher Granitbrocken. Auch hier treffen wir niemanden. Wir fühlen uns, als wären wir komplett alleine in der Wildnis. Ein Gefühl, das uns im dicht besiedelten Europa völlig fremd ist.

Unser beeindruckendstes Bike-Erlebnis hatten wir auf einem Trail, den man auf keiner Karte findet – er heißt Britannia. Der Kräfte zehrende, elende 800-Höhenmeter-Aufstieg über einen Schotterweg geht etwa 10 Kilomenter vor Squamish los und endete für uns über der Schneegrenze. Die Abfahrt ist schier unendlich und gespickt mit großen Felsen, die man teilweise überfahren kann und auch sollte, wenn man mit Locals unterwegs ist und nicht als Weichei abgestempelt werden will.

  "Rock Roller", nennen die Locals Steilabfahrten über monströse Felsen. Die findet man zuhauf auf den Trails in Squamish und Pemberton. Wer hier verweigert, kriegt die Häme der Locals zu spüren.Foto: Nathan Hughes "Rock Roller", nennen die Locals Steilabfahrten über monströse Felsen. Die findet man zuhauf auf den Trails in Squamish und Pemberton. Wer hier verweigert, kriegt die Häme der Locals zu spüren.

Genauso beeindruckende "Rock Roller" sind wir wenige Tage später in Pemberton gefahren. Dort gibt es ein ähnlich großes Trailnetz. Etwas über eine Autostunde von Squamish entfernt liegt der kleine Ort, der in der Mountainbike-Szene aber große Bekanntheit genießt. Zu recht, denn hier, weiter im Landesinneren, ist das Klima stabiler und die Trails sind sandiger. Wir haben uns den legendären "Nimby Climbing Trail" raufgearbeitet und während des ganzen Uphills fragte ich mich, warum wir es zu Hause in Europa nicht hinbekommen, so einen spaßigen Bergauf-Trail zu bauen. Oben angekommen, sehen wir eine rostige Trompete. Sie wurde an einen Baum genagelt und kennzeichnet den Trail "Rusty Trumbone". Bei der Abfahrt kann ich nur jubeln – was für eine geile Achterbahn dieser Trail ist. Nach solchen Bike-Erlebnissen denke ich ernsthaft übers Auswandern nach. Wobei man sagen muss: Wir haben einen milden Winter erwischt und konnten zum Glück eigentlich immer biken gehen – meist eingepackt in Regenklamotten allerdings. Schon in der Schmuddeljahreszeit war ich von Squamish begeistert – kaum vorstellbar, wie grandios dieses Trailparadies erst im Sommer sein muss.

Kurzum: Ich habe ja schon einiges gesehen, doch wenn es einen Outdoor-Himmel auf Erden gibt, dann heißt der für mich: Squamish.

bike/M3923214Foto: Nathan Hughes

Interview mit Steffi Marth: "Nix Vergleichbares"

  Steffi Marth, Profi-BikerinFoto: Nathan Hughes Steffi Marth, Profi-Bikerin


Im Winter nach Kanada zum Biken – etwas ungewöhnlich, oder?
Nicht, wenn man Skifahren und Biken kombinieren will. Und das funktionierte gut. Wir hatten das Glück, einen milden Winter zu erwischen – und am Ende waren wir sogar mehr Biken als Skifahren.


Wie viele Trails gibt es in Squamish?
Da kann ich dir gar keine Zahl nennen, doch so viele, dass wir in 5 Wochen nicht alle fahren konnten.


Beim Stichwort Kanada denkt man unweigerlich an krasse Stunts. Sind die Trails dort sehr anspruchsvoll?
Ja, es gibt dort Double-Diamond-Trails mit krassen Stunts. Die waren für mich unfahrbar. Doch das sind nur 5 Prozent. Alle Trails sind nach Schwierigkeit gekennzeichnet; da ist für jeden etwas dabei.


Wie findet man die Trails?
Du brauchst eine App namens Trailforks. Damit findest du nicht nur die Trails, sondern kannst auch sehen, wie schwer sie sind. Diese App ist ein absolutes Must in Kanada; sie funktioniert auch in Whistler oder am North­shore. Das Besondere an Squamish: Du fährst nicht nur hoch und wieder runter, sondern ein Trail führt zum nächsten – es ist ein riesiges, zusammenhängendes Netz.


Zu welchem Bike rätst du?
Bei den meisten Trails ist ein Enduro ausreichend, doch es gibt auch Big-Biker, die shuttlen und sich auf die schwierigen Trails konzentrieren.


Mit welchen Trails bei uns sind die Squamish-Trails zu vergleichen?
Da gibt’s nix Vergleichbares. Deswegen ist Squamish so ein Trail-Paradies. Das liegt auch an der Trail-Kultur dort. Alles ist top gepflegt.


Du warst außerdem auch in Pemberton unterwegs. Wie war das?
Das Trailnetz in Pemberton ist etwas kleiner als in Squamish, doch auch unglaublich gut. Im Ort selbst ist der Hund begraben, da bietet Squamish wesentlich mehr.


Trifft man ab und an auch mal einen Pro auf dem Trail?
Das kann schon vorkommen, allerdings ist das Trailnetz so weitläufig, dass uns das nicht passiert ist. Außer wir haben uns gezielt verabredet.


Mit wem?
Mit Thomas Vanderham zum Beispiel.


Wie ist es, mit so einem Superhero zu biken?
Total entspannt.

  So geht’s! Style-Meister Thomas Vanderham zeigt Steffi Marth den inverted Tabletop. Foto: Nathan Hughes So geht’s! Style-Meister Thomas Vanderham zeigt Steffi Marth den inverted Tabletop. 


Konnte er dir einige Tipps geben?
Ja, ich habe ihn gleich ausgequetscht, denn in meinen Augen hat Vanderham einen super Style. Da ich nicht nur schnell, sondern auch schön fahren will, war das besonders spannend. Er zeigte mir den Inverted Tabletop. Dabei ganz wichtig: Das Knie muss auf dem Rahmen liegen.

  Diesen Artikel finden Sie in FREERIDE 1/2018 - das Heft können Sie hier bestellen > FREERIDE IOS App (iPad) FREERIDE Android App Foto: Gary Perkin Diesen Artikel finden Sie in FREERIDE 1/2018 - das Heft können Sie hier bestellen > FREERIDE IOS App (iPad) FREERIDE Android App 

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