JapanFreeriden im Land des Lächelns

Nathan Hughes

 · 30.08.2016

Japan: Freeriden im Land des LächelnsFoto: Nathan Hughes
Japan: Freeriden im Land des Lächelns
Japan zum Freeriden? Keine Ahnung. Dabei besitzt die Pazifik-Insel alles, was sich Freerider wünschen. Worldcupper Bernardo Cruz und Profi-Bikerin Steffi Marth gingen auf Entdeckungsreise.
  Bilderbuch-Vulkan: Mount Fuji reckt seine knapp 3700 Meter hohe Schneekuppe in den blauen Himmel.Foto: Nathan Hughes Bilderbuch-Vulkan: Mount Fuji reckt seine knapp 3700 Meter hohe Schneekuppe in den blauen Himmel.

Arigato!" Es mag seltsam klingen, eine Story mit dem Wort "Danke" zu beginnen, doch da in Japan alles seltsam ist, geht das. In Japan kannst du nicht höflich genug sein. Danke ist daher ein Wort, das du schnellstens lernen und dir gefälligst merken solltest, sonst kriegst du hier Probleme. Übe es am besten jetzt gleich. Und während du "Arigato" sagst, trainiere fleißig den Umgang mit den hölzernen Essstäbchen (sind sie aus Plastik, taugt das Restaurant nix) – "Arigato" mit schnellem und schön hohl klingendem O am Ende. Deinen Hals kannst du schon mal warm recken, denn er muss geschmeidig werden bei den zig Verbeugungen, die du täglich machen musst, um jedem hier Respekt zu zollen. Doch das alleine reicht noch immer nicht. Du brauchst auch Geschenke. Viele Geschenke. Jeder will Geschenke, denn jeder schenkt dir in Japan was und all die Verbeugungen und auch zehn "Arigatos" mit schnellem O bringen nichts, wenn du kein gottverdammtes Geschenk dabeihast.

Und da sind wir noch lange nicht auf dem Trail. Du musst wissen: In Japan betreibt man mehr Trail-Pflege, als dass man die Trails überhaupt fährt. Triffst du unterwegs also auf einen der vielen Trail-Pflege-Trupps, kann ich dir nur raten, schnell den Klappspaten auszupacken und den Dreck, den deinen Reifen gerade weggespritzt haben, zurückzukehren.

  Kennt sich aus: Trailbuilder Nogucchi shuttelt uns zu den besten Trails der Gegend. Leider geiseln Trailverbote das japanische Gemüt. "Während wir die Trailverbote nicht all zu ernst nehmen, weder daheim noch hier, ist den Japanern jede Regel heilig", sagt Steffi Marth.Foto: Nathan Hughes Kennt sich aus: Trailbuilder Nogucchi shuttelt uns zu den besten Trails der Gegend. Leider geiseln Trailverbote das japanische Gemüt. "Während wir die Trailverbote nicht all zu ernst nehmen, weder daheim noch hier, ist den Japanern jede Regel heilig", sagt Steffi Marth.

Japan ist echt ein Trip. Schon allein wegen der abgefahrenen Sinneseindrücke, mit denen es dich überschüttet, sobald du am Flughafen in die Ankunftshalle trittst. Das alles wirst du vermutlich dein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Denn: Ob mit oder ohne Bike – Japan ist eine völlig andere Welt: Wolkenkratzer, Leuchtreklamen, Straßen voller Autos, die sich unablässig und honigzäh über den Asphalt drücken ...

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Der erste Tag beginnt mit Nieselregen. Es ist 5 Uhr früh. Bereits um 3 Uhr sind wir aus den harten, japanischen Futon-Betten gekrochen und roboterten los. Tag, Nacht? Wir sind Reise-Zombies ohne Zeitgefühl. Doch der Lärm in der Markthalle weckt uns auf. Kurzgeschorene Japaner mit Stiernacken und Gummischürzen schreien sich die Seele aus dem Leib. Die Typen stehen zwischen langen Reihen silberner Thunfische, die hier wie Flugzeugbomben am Boden aufgereiht liegen. Leblos, tiefgefroren, mit Frost überzogen, ihrer Flossen beraubt. Tsukiji ist Tokios größter Fischmarkt und anscheinend auch der größte der Welt. Wir stehen rum, frösteln, staunen, den Atem als helle Zuckerwatte vor unseren Mündern, die Arme schön am Körper angelegt, um ja nicht aus Versehen auf einen dieser 400 Kilo schweren Thunfische zu bieten. Sie kosten ein Vermögen.

Japan im Schnelldurchlauf: Wir sehen richtige Geishas in Pontocho, trinken Sake in Downtown Osaka, cruisen durch den Bambus-Wald von Kyoto, schauen dabei zu, wie Sumo-Ringer ihre bis zu 280 Kilo schweren Körper gegeneinander rammen. Die Fettrollen täuschen übrigens, darunter befinden sich stählerne Muskeln und viele dieser Boliden können ihre Beine sogar zum Spagat verbiegen. Hiroshi Ato, einer der bekanntesten und talentiertesten Biker Japans, und seine Freundin Keiko Tomata geben sich alle Mühe, uns die volle Japan-Dröhnung zu verabreichen, bevor es richtig zum Biken geht.

Die Big Bikes unter den Ringern: Sumo-Athleten in Action. Auch hier von Vorteil: ein tiefer Schwerpunkt und hohe Standfestigkeit. Es geht darum, den Gegner von der Matte zu drängen. Frauen-Sumos gibt's auch - sicher nett zu anzusehen. Wer hier mit einer Karriere liebäugelt: Monatsgehalt: 20.000 Euro.
Foto: Nathan Hughes

Von Hiroshis Appartement mitten in Osaka startet unsere Bike-Expedition zum Yamanashi District in einem voll gepackten Toyota. Hiroshi lässt seinen teueren Downhiller über Nacht vorm Haus stehen – unabgeschlossen. Das geht problemlos – nur um euch einen Eindruck von Japans Kriminalitätsquote zu geben. Steffi schlingt sich vor der Abfahrt noch die landestypischen Instantnudeln rein (grusel) und muss danach gleich aufs Klo. Auch das ist in Japan ein Erlebnis. Die Klos sind vollautomatisiert. Es surrt und rauscht, die Klobrille rotiert und hüllt sich mit Plastik. Man hat das Gefühl, das Klohäuschen zündet im nächsten Moment Raketen und fliegt zum Mars.

Während der Fahrt hängt unser Buddy Bernardo Cruz, Worldcup-Downhiller und Superwhipper aus Brasilien, zwischen den Reisetaschen wie eine Leiche – kein Wunder nach seiner 36-Stunden-Anreise aus Belo Horizonte. Der Typ ist fertig. Er schnellt erst hoch, als der weltbekannten Mount Fuji am Horizont auftaucht und in Postkarten-Pose seine Schneehaube in den eisblauen Japanhimmel streckt, als wolle er uns sagen will: Ich bin der Größte. Ist er ja auch. Mit über 3700 Metern ist kein anderer Berg Japans höher. Hier shredden wir am nächsten Tag unseren ersten Singletrail. "Check mal die Bäume!", ruft Steffi zu Bernardo rüber, während die beiden mit ihren Enduro-Bikes um engstehende Stämme kurven. Moos und Flechten hängen in wirren Zauselbärten von den Ästen. Die Trails beeindrucken: griffige Erde, geschmeidige Turns, viel Flow. Das hätten wir nicht erwartet – und vor allem: niemand da! Komisch. Warum denn nicht? Die Locals, die wir später treffen, drucksen rum. "Biken verboten!", gestehen sie. Nun, bei uns ist Biken auch vielerorts verboten, doch im Gegensatz zu uns hält sich der Japaner strikt an Regeln. Ein Grund, warum Mountainbiken hier in diesem wunderschönen Land auf keinen grünen Zweig kommt. Wir sehen das nicht so eng und besuchen nach einigen Tagen ausgiebiger Enduro-Touren und den ersten Schwielen an den Händen Japans größten Bikepark, den Fujimi Panorama. Er ist vergleichbar mit Bischofsmais bei uns (nur die Gondel ist schneller – haha!). Die drei Strecken führen durch dichten Zwerg-Bambus bergab. Auffällig: Es gibt nicht einen einzigen Jump im ganzen Park. Hiroshi entschuldigt sich: "Wir wollen Verletzungen vermeiden, um die Biker in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu diskreditieren." Auch hier also: lieber leise treten und unterm öffentlichen Radar bleiben. Seltsam eigentlich, denn 1998, als Grundig die Serie finanzierte und die Rennen auf Eurosport übertragen wurden, gab es in Arai einen Downhill-Worldcup. Doch seit dem letzten Wettkampf 2001 hat sich der Mountainbike-Sport in Japan anscheinend wieder zum Dornröschen-Schlaf niedergelegt.

Wir fahren weiter, denn Hiroshi will uns eine Tempelanlage mit ewig langen Treppen zeigen. Hier findet der Red Bull Holy Ride statt, ein Kamikaze-Fourcross mit haarsträubenden Stürzen. Bernardo ist in seinem Element und schafft es sogar, einige seiner legendären Whips auszupacken – sehr zur Freude der Zuschauer, die blitzschnell ihre Handy-Kameras zücken. Danach fantasiert Hiroshi über eine schillernde MTB-Zukunft in Japan, einem Land, gefangen zwischen Traditio­nen und strengem Verhaltenskodex. Wie gerne würde er das 127-Millionen-Volk, eingequetscht zwischen Ozean und Gebirge, überzeugen, dass hier ein enormes Potenzial schlummert.

Irgendwie scheinen Epic-Trips wie dieser immer ein abruptes Ende zu finden. Die Zeit ist um, dabei haben wir nur einen winzigen Teil Japans erkundet. Oder wie Bernardo Cruz es formuliert: "Oh, Japan ist crazy. Überall Wald, Berge, Trails. Zu schön, um wahr zu sein. Ich will hier bleiben und überall Jumps bauen." Unsere Japan-Locals lachen, doch wieder wissen wir nicht: Finden sie’s wirklich witzig oder furchtbar unhöflich, was Bernardo da sagt?

  Steffi Marth und Bernardo CruzFoto: Nathan Hughes Steffi Marth und Bernardo Cruz


Interview mit Gravity-Prinzessin Steffi Marth: Steffi, Mountainbiken in Japan – ein Muss?


Bei Freeriden denkt man nicht unweigerlich an Japan, zumindest nicht im Sommer.
Stimmt. Man kann auch bei uns schön biken gehen oder in Österreich. Doch mich hat Japan mit seinem speziellen Lifestyle gereizt. Das wollte ich einfach mal erleben. Mein Freund Nathan ist begeisterter Skifahrer und hat mir von den einzigartigen Pillowruns in Japan vorgeschwärmt. Wir dachten: Wo man im Winter gut freeriden kann, sollte man auch im Sommer Spaß haben können.


Kulturschock?
Aber hallo! Das ist eine ganz andere Welt.


Gibt es dort überhaupt eine Bike-Szene?
Ich hatte selbst keine Ahnung, was wir vorfinden würden. Doch es gibt eine Szene. Wir waren in einem Bikepark, wo es zuging wie auf dem Jahrmarkt. Bei uns habe ich selten so viele Fahrer in einem Park gesehen.


Sind das eher Marsmenschen oder kommt man mit den japanischen Park-Freeridern in Kontakt?
Eher schwierig. Als westlich aussehender Mensch ist man ohnehin ein bunter Hund – wir waren die einzigen – und dann ist da noch die Sprachbarriere. Doch wir hatten japanische Reisebegleiter, das hat etwas geholfen.


Eure Guides werden euch die Trails gezeigt haben – doch könnte man auch einfach losradeln?
Naja, in Japan ist viel verboten. Doch das ist bei uns ja nicht anders. Wir sind einfach losgeradelt – das geht. Unsere Guides kannten die Trails, allerdings lassen sie sich auch per Internet finden.


Was für Trails sind das?
Richtig geile Trails. Einer davon zählt sicher zu den Top-3, die ich je gefahren bin. Es gibt sehr exotisches Gelände mit Bambus-Wald, aber auch Trails mit einer Vegetation wie bei uns. Kurzum: Japan bietet wirklich tolles Mountainbike-Terrain, nur scheint es kaum jemand zu wissen. Was gut ist.


Mit welchen Bikes ward ihr unterwegs?
Wir hatten Enduros und Big Bikes dabei. Doch Enduros sind die richtige Wahl. Die Big Bikes hätten wir uns sparen können, da es selbst in den Bikeparks keine richtigen Sprünge gibt. Für die Action mussten wir uns selbst was schaufeln.


Was war dein persönliches Highlight?
Mich hat die andersartige Kultur beeindruckt. So was hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen. Die Menschen sind undurchschaubar. Sind die jetzt nur höflich und finden dich eigentlich doof? Man weiß es nicht. Man weiß auch nie, wie man sich verhalten soll. Da ist eben alles anders!


Reicht einmal oder willst du wieder nach Japan?
Ich will auf alle Fälle wieder hin. Die Insel ist riesig und hat enormes Freeride-Potenzial – wir haben ja nur einen kleinen Teil gesehen.


INFO JAPAN


Beste Reisezeit: Mai bis September.


Ideales Bike: Enduro.


Veranstalter: Bike Adventure Tours bietet zweimal jährlich einen 16-tägigen Bike- und Kulturtrip an.

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