SpanienGran Canaria-Durchquerung

Dan Milner

 · 11.05.2014

Spanien: Gran Canaria-DurchquerungFoto: Dan Milner
Spanien: Gran Canaria-Durchquerung
Wenn ein Ultratrail-Läufer auf der Gran-Canaria-Überquerung zehn Stunden unterwegs ist – wie lange braucht dann wohl ein Mountainbiker für die 90 Kilometer und 5000 Höhenmeter?

Der Lindwurm am Check-in zieht sich gewaltig in die Länge. Und trotzdem fällt mir der Typ mit seinem Kappi ganz vorne in der Schlange sofort auf. Das STRAVA-Logo prangt weit sichtbar auf seiner Schildmütze. Ein Rennradfahrer? Ein Biker? Egal, denke ich, außer einer perversen Liebe zum Fahrrad und dem Reiseziel Gran Canaria werden wir keine Gemeinsamkeiten teilen. Ich wette sogar, dass der Strava-Jünger unsere geplante Offroad-Traverse nicht mal in Erwägung ziehen würde. Die Route ist steil und felsig, die Trails sind technisch – nichts für die Gemeinde des Racer-Forums, wo um Sekunden und Zehntelsekunden gewetteifert wird. Wir haben keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, die Kanareninsel im Renntempo zu durchqueren. Und doch haben wir uns ironischerweise eine Rennstrecke rausgesucht. Und zwar die des härtesten Ultra-Marathon-Rennens der Welt: der Transgrancanaria.

Wenn ich nur einen Hauch von guten Trails wittere, blende ich das Schmerzpotenzial, das so eine Mehrtages-Tour meist mit sich bringt, völlig aus. Dabei sollte ich es besser wissen. Gerade mal drei Jahre ist es her, dass ich den Lavaredo-Ultra-Trail in den italienischen Dolomiten mit dem Bike durchlitten habe. Doch die Schmerzen sind längst verblasst, nur die genialen Trails glühen noch in meinem Kopf. Als nun die Gran-Canaria-Variante auf meinem Radar aufleuchtete, machte ich sofort wieder die falsche Rechnung auf: Also, wenn man die 90 Kilometer lange Strecke als Läufer unter zwölf Stunden schafft – wo soll dann für Biker das Problem sein?

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Trans Gran Canaria: Quer durch Gran Canarias Inneneinrichtung: Die bizarre Gebirgswelt der Kanareninsel gleicht oft einer Jurassic-Park-Szenerie. 
Foto: Dan Milner

Meine beiden englischen Kumpels James und James sowie Celestino Alonso, ein Local von der Insel, und ich kurbeln uns früh morgens an der Strandpromenade von Las Palmas warm. Zu unserer Rechten peitscht ein aufgewühlter Atlantik an die Kaimauer, und geradeaus fokussieren meine Augen unser Ziel am Horizont: Gran Canarias vulkanische Inneneinrichtung. Turmartig und alarmierend steil zeichnet sich das Gebirge am Himmel ab. Und das wollen wir in drei Tagen hinter uns gelassen haben? 90 Kilometer und 5000 Höhenmeter mit jeder Menge Tragepassagen dazwischen – aber wir wollten ja unbedingt die Fortgeschrittenen-Variante des Ultra-Trail-Rennens von 2013.

Unter einer subtropisch warmen Sonne sammeln wir kaum merklich die ersten Höhenmeter ein. Den Pico de las Nieves, mit 1949 Metern höchster Gipfel der Insel, behalten wir dabei immer im Blick. Wir kurven von einem Flachland-Ort zum nächsten, durchqueren Buschland und machen Bekanntschaft mit den ersten Kaktusdornen. Mittags trudeln wir im Örtchen Teror ein, wo wir uns eine Sandwich-Pause gönnen. Irgendwie hat sich am Panorama nicht wirklich was verändert und dafür, dass wir morgen schon auf dem Inselgipfel stehen wollen, sind wir ihm kaum näher gekommen. Wenigstens der Höhenmesser vermeldet einen Fortschritt: 600 Höhenmeter geschafft! Immerhin. Unser Etappenziel liegt auf 1500 – also noch 900 Höhenmeter. Theoretisch, auf dem Papier. In der Realität aber, wenn man alle Ups und Downs, die sich da auf dem Trail dazwischenmogeln, addiert, dann sind es am Ende des Tages insgesamt 2150 Höhenmeter. Viele davon haben wir auf einer 30-minütigen Tragepassage zurückgelegt und meine Beine brennen nicht schlecht, als wir endlich unser Etappenziel Cruz de Tejeda erreichen.

Als wir die Lobby des Hotels Parador betreten, wird klar, dass dieses Haus an feinere Gäste gewöhnt ist. Staubig, müde und dehydriert wie wir sind, dürften wir eher wie afrikanische Bootsflüchtlinge aussehen. Aber der Mann an der Rezeption lässt sich nichts anmerken. Nach der Dusche fallen wir im Spa-Bereich fast gar nicht auf, erst wieder im schicken Restaurant, denn außer uns trägt niemand Fleece-Pulli und Badeschlappen. Doch dafür freuen wir uns am nächsten Morgen wieder über unsere leichten Rucksäcke, die eben nur mit dem Nötigsten gepackt sind.

Der Trail beginnt direkt hinter der Hoteltür und windet sich durch ein Gewirr aus Sträuchern, in dem sich heute die Nebelschwaden verhakt haben. Local Celestino übernimmt die GPS-Funktion. Renn-Routen wie diese im Internet aufzuspüren, ist ja kein großes Problem mehr, und das Übertragen in die Topo-Karte auch nicht. Aber Celestinos Trail-Kenntnis bewahrt uns doch vor mehrstündigen Wanderungen, die unseren Drei-Tagesplan über den Haufen geworfen hätten. Goldrichtig war auch sein Rat, die Laufstrecke generell in anderer Richtung zu fahren. Außerdem mussten wir die Etappen so einteilen, dass wir abends einen Ort mit Unterkunft erreichen, und das ist auf Gran Canaria, jenseits der Hotelburgen an der Küste, gar nicht so leicht. Im Inneren der Insel sind Bergdörfer rar und liegen weit auseinander. Das erfordert eine ortskundige Planung.

Mit der Schleife über den Pico de las Nieves weichen wir zwar von der TGC-Route ab, aber es erscheint uns frevelhaft, die Insel ohne ihren höchsten Punkt zu überqueren. Also schieben wir die Bikes durch Horden von Tagesausflüglern zum Gipfel hinauf. Doch schon auf dem Abfahrts-Trail haben wir die Sandalenträger hinter uns gelassen. Das Fahren wird technischer. Loser Schotter und Grip-starkes Vulkangestein wechseln sich ab. Im Zickzack fliegen wir bergab, springen über Stufen und bügeln bald über schier endlose Lehm-Traversen.

Leider ist unsere Annahme, dass es vom höchsten Punkt nur noch bergab gehen kann, falsch. Wieder heißt es: Um von A nach B zu kommen, muss man über C und D fahren. Unser Trail macht sogar Abstecher zu Kraterrändern. Zeitweise buckeln wir unsere Bikes, um über senkrechte Steinblöcke zu klettern, während wir gleichzeitig versuchen, die Reifen von Kaktusstacheln fernzuhalten. Doch jeder Anstieg belohnt uns mit einer wilden Abfahrt. Die Letzte des Tages spuckt uns zur Abenddämmerung vor einem Höhlenhaus in Artenara aus. Das klingt ein bisschen nach den Flintstones, aber diese Oase im Vulkanberg ist definitiv der stillste Ort, an dem ich je geschlafen habe. Am Morgen des dritten Tages dreht sich das Hamsterrad Anstieg-Abfahrt-Anstieg-Abfahrt durch diese Jurassic-Park-Szenerie deutlich zäher. Unsere Beine sind müde. Doch irgendwann rollen wir an die Startrampe der letzten Abfahrt. Im Zickzack hangelt sich der Trail eine Felswand hinunter, bis er weit unten den Berg abschüttelt und wie ein Teppich über sanfte Wellen zum Küstenort Agaete hin ausrollt. 25 Stunden reine Fahrzeit, sagt der Tacho. Ein Wahnsinn, wenn man überlegt, dass der schnellste TGC-Läufer nach weniger als zehn Stunden im Ziel war.

Hinweis zum GPS-Download Transgrancanaria

Bei der Route handelt es sich um einen Ultra-Trail-Kurs. Durch unsere Geschichte machten sich nun auch noch Mountainbiker auf den Weg. Somit war die Strecke stark frequentiert und die Veranstalter des Lauf-Wettkampfs befürchteten eine Sperrung der Route. Daher können wir die GPS-Daten leider nicht mehr anbieten. Aktuell werden auf den Kanaren nämlich diverse Trailsperrungen diskutiert und auf Teneriffa auch schon umgesetzt. Wir bitten um Verständnis.


Die ganze Fotostory gibt's unten aus als gratis PDF-Download zum Download.


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